Montag, 10. August 2009

Leserbrief vom DBU-Vorstand und A. Berzin


Sehr geehrter Herr Osterkorn,
sehr geehrte Redaktion,

zu Ihrem Titel “Die zwei Gesichter des Dalai Lama” (stern 32/2009) erlauben wir uns als einer der Veranstalter von “Der Dalai Lama in Frankfurt 2009” folgende Bemerkungen:

Die Darstellung Ihrer Autoren Tilman Müller und Janis Vougioukas ist tendenziös. Sie zeigt durchaus wichtige Fragen auf, denen sich die tibetische Exilgemeinschaft schon immer zu stellen bereit ist. Leider hatten deren Vertreter jedoch keine Möglichkeit zu einer eigenen Stellungnahme. Die Haltung der tibetischen Regierung im Exil oder des Büros des Dalai Lama wird den Thesen der Autoren nicht gegenüber gestellt. Es entspricht weder den üblichen und wertvollen Gepflogenheiten journalistischer Arbeit noch dem Anspruch an eine unabhängige Berichterstattung, die - bekannte - Haltung von Einzelpersonen ohne einen Hinweis auf die Gegenargumente darzustellen.

Die Darstellung ist daher verzerrt, möglicherweise wurde dies bewusst in Kauf genommen, um eine erwünschte Wirkung zu erzielen. Deshalb muss einigen Thesen der Autoren ausdrücklich widersprochen werden:

Der tibetische Buddhismus ist im Westen eine weitgehend unbekannte Tradition. Von denen, die über Ereignisse wie “Der Dalai Lama in Frankfurt 2009” berichten, sind nur ganz wenige mit den tiefen Inhalten dieser tausendjährigen Tradition vertraut. Der tibetische Buddhismus sieht sich in der Nachfolge des historischen Buddha, der Praxis der Geistesschulung, und ist der Meditation und der Entwicklung besonderer menschlicher Qualitäten verpflichtet, wie Freigebigkeit, Ethik und Mitgefühl. Es ist, wie der Dalai Lama als buddhistischer Lehrer immer wieder betont, nicht mit einer buddhistischen Geisteshaltung zu vereinbaren, wenn die Verehrung einer unbedeutenden Figur wie des Schutzgeistes Dorje Shugden über die Quelle der eigentlichen Praxis, den Buddha, gestellt wird. Die Figur Dorje Shugdens ist äußerst sektiererisch, welches der Dalai Lama entschieden ablehnt. Der Dalai Lama ist überzeugt, dass die sektiererische Haltung der Anhänger dieses Kultes dem Buddhismus insgesamt sehr schadet. Er hat vor diesem Hintergrund die sog. “Shugden-Praxis”, die er früher selbst ausgeübt hat, als schädlich erkannt und aufgegeben. Wenn der Dalai Lama als spiritueller Lehrer einer Gemeinschaft diese Gemeinschaft vor den mit der “Shugden-Praxis” verbundenen Problemen warnt und dabei betont, dass es trotzdem jedem frei stehe, die Praxis aufzugeben oder nicht, steht dies nicht im Widerspruch zur Religionsfreiheit. Dieser persönlichen Freiheit jedes Einzelnen ungeachtet ist der Dalai Lama ganz persönlich verpflichtet, die Tradition des Buddhismus zu erhalten und sich gegen eine Tendenz der Verwässerung und Trivialisierung zu wenden. Überdies sind Anhänger des “Shugden-Kults” in der Vergangenheit soweit gegangen, Personen aus dem Umfeld des Dalai Lama zu ermorden. Die Furcht Seiner Heiligkeit um seine eigene Person, aber auch um den Gehalt und Wert der buddhistischen Tradition, sind daher mehr als real.

Die Rolle des Dalai Lama innerhalb der tibetischen Regierung im Exil ist vor dem Hintergrund seiner doppelten Funktion als eine spirituelle und politische Führungsperson der Tibeter mehrdeutig. Es ist nicht der Wunsch des Dalai Lama, und dies hat er zu vielen Gelegenheiten ausdrücklich betont, innerhalb der politischen Meinungsbildung eine besondere Rolle zu spielen. Gleichwohl ist es Folge des Respekts und des Vertrauens, das ihm nahezu alle Tibeter innerhalb und außerhalb Tibets in allen geistlichen und weltlichen Fragen entgegenbringen, dass sein Rat eingeholt wird und Gewicht hat. Es ist daher in der Tat so, dass der Dalai Lama – ohne sein eigenes Zutun – in viele Entscheidungen einbezogen wird. Seine Heiligkeit unternimmt vielfältige Bemühungen, die politischen Implikationen dieser Doppelrolle zu minimieren. Der Person eine undemokratische Gesinnung zu unterstellen, welche mit dem Vorschlag einer Verfassung für Tibet ihre eigene “Entmachtung” eingeleitet hat, lässt sich wirklich nicht aufrecht halten.

Tibet war vor 1949 ein asiatischer Feudalstaat. Die Notwendigkeit von Reformen hatte bereits der Vorgänger Seiner Heiligkeit, der 13. Dalai Lama, klar erkannt. Die notwendigen Reformen einzuleiten war indes weder Aufgabe der Volksrepublik China, die bis heute die Besetzung Tibets mit dem Hinweis auf die Befreiung der Tibeter von der Knechtschaft der Dalai Lamas begründet; noch ist es Sache der Regierungen des Westens die Bemühungen der Exiltibeter zu verurteilen, weil mit der Gewaltenteilung und Festigung demokratischer Strukturen in den vergangenen Jahrzehnten dort ein Prozess der Demokratisierung eingeleitet wurde, der konsequent und ernsthaft fortgesetzt wird. Es ist unfair und unrealistisch zu erwarten, dass dieser Prozess ganz ohne Fehler und Probleme vonstatten geht. Der Sprung Tibets vom Mittelalter ins 21. Jahrhundert ist eine Erfolgsgeschichte, die allenfalls Wohlwollen und konstruktive Kritik verdient. Der Dalai Lama hat immer wieder den Wert einer konstruktiven Kritik für die Entwicklung der Demokratie innerhalb der tibetischen Exilgemeinschaft betont.

Die Bemerkungen Ihrer Autoren zu den Kontakten Seiner Heiligkeit zu “wertkonservativen und rechten Politikern” sind einerseits ein bemerkenswertes Beispiel für den Versuch der Autoren, eine Schlagzeile zu machen. Andererseits zeigt dieser Kommentar, wie wenig im Westen diese Herangehensweise verstanden wird. Der Dalai Lama hat im Rahmen der Veranstaltung in Frankfurt betont, das seine Lösung der globalen Fragen nur auf der Ebene eines mitmenschlichen Dialogs möglich ist. Personen wie H. Harrer und J. Haider begegnete der Dalai Lama in erster Linie auf dieser Ebene. Derselbe Dalai Lama bietet der chinesischen Regierung, die im Zuge der Besetzung Tibets und der nachfolgenden Wirren der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts für den Tod von mehr als einer Million Tibetern verantwortlich ist, immer wieder ergebnisoffene Gespräche über die Zukunft seiner Heimat an. Es ist diese Art des “Aufeinander-zu-Gehens”, die wohl als meistunterschätztes Mittel der Weltgeschichte ein Umdenken auch auf der Seite derer ermöglichen kann, deren politische und weltanschauliche Ansichten an und für sich kritisch zu sehen oder gar abzulehnen sind.

Die Veranstalter hoffen, dass Sie bereit sein werden, diesen Brief in ihrer nächsten Ausgabe abzudrucken und Ihren Lesern zu ermöglichen, sich ein besseres Bild von den Fakten und den Hintergründen zu machen, welche die Autoren nicht bereit waren, einzubeziehen. Es ist diese Art von Journalismus, die polarisiert und enttäuscht. Die Teilnehmer von “Der Dalai Lama in Frankfurt 2009” haben in der letzten Woche genau das Gegenteil erfahren dürfen.

Mit freundlichen Grüßen

Alexander Berzin gemeinsam mit dem
Vorstand der Deutschen Buddhistischen Union (DBU)

Mittwoch, 5. August 2009

Repressionen gegen Anhänger Thich Nhat Hanhs in Vietnam - Hintergründe

Gestern (am 05.08.2009) berichtete AP, dass anscheinend das Ende der Plum-Village-Filiale in Vietnam bevorsteht. Es handelt sich um eine Gruppe von derzeit 379 Anhängern Thich Nhat Hanhs, die seit 2005 auf Einladung des dortigen Abtes im Kloster Bhat Nha lebt.

Bui Huu Duoc, Sprecher des Nationalkomitees für religiöse Angelegenheiten (der zuständigen staatlichen Kontrollbehörde), gab bekannt, der Abt Duc Nghi wünsche den Auszug der Anhänger Thich Nhat Hanhs bis Anfang September und beschuldigte sie, seit Juli 2008 gegen Vorschriften wie beispielsweise die Anmeldung von Kursen verstoßen zu haben. Die Vorwürfe werden bestritten; als eigentlicher Grund wird eine Veröffentlichung auf der Webseite von Plum Village (Thich Nhat Hanhs Zentrale in Frankreich) vermutet, in der im Februar 2008 unter anderem die Abschaffung des Nationalkomitees für religiöse Angelegenheiten und die Auflösung der Religionspolizei vorgeschlagen wurde. Bereits Ende Juni war es zu Ausschreitungen gekommen, als Randalierer auf dem Gelände des Klosters mit Vorschlaghämmern Gebäude beschädigten und die dort lebenden Mönche und Nonnen bedrohten. Zuvor hatten die örtlichen Behörden Strom und Wasser abgestellt sowie die Telephonleitungen stillgelegt. Von Abt Duc Nghi selbst gibt es bislang keine öffentliche Stellungnahme.

Die Kampagne gegen die Anhänger Thich Nhat Hanhs ist nicht der einzige und auch nicht der besorgniserregendste Beleg dafür, dass die Regierung in Hanoi die Zügel ihrer Religionspolitik wieder straffer anzieht. Speziell dieser Vorgang jedoch ist ein deutliches Zeichen für das Scheitern der Kooperation Thich Nhat Hanhs mit dem vietnamesischen Nationalkomitee für religiöse Angelegenheiten und der durch dieses 'Komitee' beaufsichtigten Vietnamese Buddhist Church - der auch Abt Duc Nghi angehört, der Gastgeber der Thich-Nhat-Hanh-Gruppe.

2005 war Thich Nhat Hanh nach längeren Verhandlungen, in denen es u.a. um die Zahl seiner Begleiter und um die Publikation seiner Werke in Vietnam ging, einer Einladung der vietnamesischen Regierung gefolgt und hatte erstmals seit 1966 wieder sein Heimatland besucht. Der Besuch hatte international in den Medien große Beachtung gefunden; vor allem war er ein Thema der vietnamesischen Berichterstattung. Dies war Teil einer Propagandakampagne der vietnamesischen Regierung, die sich um ihr internationales Renommee sorgte. Hintergrund war die heftige internationale Kritik an der religiösen Unterdrückung in Vietnam, die möglicherweise die Aufnahme Vietnams in die Welthandelsorganisation WTO hätte gefährden können.

So hatte im November 2003 das Europäische Parlament eine Resolution wegen der Verletzung der Religionsfreiheit in Vietnam verabschiedet. Im September 2004 hatte dann das us-amerikanische Außenministerium Vietnam wegen besonders schwerer Verstöße als "Country of Particular Concern" im Sinne des International Religious Freedom Act eingestuft. Eine solche Einstufung verpflichtet den amerikanischen Präsidenten, Maßnahmen bis hin zu harten Wirtschaftssanktionen zu ergreifen, wenn binnen einer gesetzten Frist keine Besserung eintritt. Die Einstufung wurde im November 2006 aufgehoben; zwei Monate später erhielt Vietnam von den USA den Status 'Permanent Normal Trade Relations' (PNTR) und am 11. Januar 2007 wurde Vietnam das hundertfünfzigste Mitglied der WTO. Offensichtlich sieht man in Hanoi nun die Zeit gekommen, die Samthandschuhe wieder auszuziehen.

Auf der Agenda von Thich Nhat Hanhs Reise im Jahr 2005 stand auch noch ein weiterer Punkt, der den Wünschen Hanois und möglicherweise auch Thich Nhat Hanhs entgegengekommen wäre - nämlich eine demonstrative und öffentlichkeitswirksame Annäherung der staatstreuen Vietnamese Buddhist Church VBC und der seit 1981 verbotenen und massiv verfolgten Unified Buddhist Church of Vietnam (UBCV). Diesem Vorhaben wurde jedoch seitens der UBCV eine deutliche Absage zuteil. Insbesondere scheiterte der Versuch, Treffen mit den wichtigsten Führern der UBCV zu organisieren. Der damals 87-jährige Patriarch der UBVC Thich Huyen Quang, seit 1982 unter Hausarrest, weigerte sich trotz staatlichen Drucks, Thich Nhat Hanh zu empfangen und ging demonstrativ in Retreat. Ein Treffen mit Thich Quang Do, damals Stellverteter Thich Huyen Quangs und seit dessen Tod im Juli letzten Jahres sein Nachfolger, scheiterte ebenfalls an dessen Weigerung. Grund für die ablehnende Haltung der UBCV-Repräsentanten war nicht zuletzt der Umstand, dass Thich Nhat Hanh bei diesen Treffen von Vertretern der staatstreuen VBC und Funktionären des Nationalkomitees für religiöse Angelegenheiten begleitet werden sollte. Zuvor hatte schon Vo Van Ai, internationaler Sprecher der UBCV und Direktor des in Paris ansässigen International Buddhist Information Bureau (IBIB) den Besuch Thich Nhat Hanhs scharf kritisiert und ihm eine völlige Verkennung der Lage in Vietnam vorgeworfen. Insbesondere sei der Zeitpunkt seiner Reise angesichts der unverminderten Verfolgung der UBCV und des steigenden internationalen Drucks auf die vietnamesische Regierung schlecht gewählt. Er sprach von einem "faustischen Pakt zwischen Thich Nhat Hanh und den vietnamesischen Behörden". In Anbetracht der aktuellen Vorgänge um Bhat Nha scheint sich diese Einschätzung als zutreffend zu erweisen.

So besorgniserregend die Nachrichten aus Bhat Nha sind, es sind Nachrichten, die leider nur wegen der Popularität von Thich Nhat Hanh die ihnen gebührende Aufmerksamkeit in den Medien finden. Ohne verharmlosen zu wollen - es gibt Schlimmeres in Sachen Religionsfreiheit aus Vietnam zu berichten. Wie das IBIB berichtet, wurde am 23. Juli - vor knapp 2 Wochen - Thich Vien Dinh, Generalsekretär der UBCV, verhaftet als er an der Gedenkfeier anlässlich des ersten Todestages von Thich Huyen Quang teilnehmen wollte. Patriarch Thich Quang Do sowie die Vorsitzenden von 20 Provinzkomitees der UBCV konnten gar nicht erst anreisen. Teilweise stehen sie wie Thich Quang Do unter Hausarrest, teilweise wurden Pagoden von Polizisten umstellt, um führende UBVC-Mitglieder an der Abreise zu hindern. Thich Vien Dinh war einer der Wenigen, die es geschafft hatten, in die Provinz Binh Dinh zu reisen. Seit zwei Wochen gibt es keine weiteren Nachrichten von ihm.

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) hat im Mai diesen Jahres dem US State Department erneut empfohlen, Vietnam als "Country of Particular Concern" einzustufen - wie jedes Jahr seit 2001. Eine Delegation dieser Kommission hatte am 16. Mai den seit mittlerweile 27 Jahren unter Hausarrest stehenden Thich Quang Do aufgesucht und sich über die Lage der UBCV informiert.